Riesling-Weinernte in Wehlen, Mosel

Der Weg zur Vollkommenheit

Weingenuss will gelernt sein. Wer sicher gehen will, dass der Wein schmeckt, der benötigt neben ein wenig Sachkenntnis vor allen Dingen den Willen, sich den Wein schmecken zu lassen.

Die einleitende Erklärung will ernst genommen werden. Sie ist alles, mit Sicherheit aber kein Hinweis, unkritisch mit den Weinen einer gut abgestimmten Probe umzugehen. Sie sagt nicht mehr und nicht weniger, dass für Lust und Genuss grundsätzlich Bereitschaft bestehen muss. Miesepeter haben in der Probe ebenso wenig verloren wie diejenigen Fachleute, die immer nur den einen Wein am anderen messen. Man kann nicht verhindern, dass der Vorgänger auf seinen Nachfolger ausstrahlt - und dennoch muss man versuchen, jeden Wein objektiv f ür sich selbst zu beurteilen.

Deshalb heißt die erste Regel für eine genüssliche Weinprobe: sorgen Sie selbst dafür, dass die festgelegte Reihenfolge der Weine das Erschlagen eines Weines durch seinen Vorgänger verhindert. Man beginnt deswegen gerne mit trockenen und leichten Weinen, die zurückhaltend in der Geschmacksintensität sind. Ein geharzter Wein, ein besonders würziger Gewürztraminer kann jeden nachfolgenden Riesling töten, bevor dieser eine echte Chance hatte.

Obwohl man die jüngeren Weine vor den älteren trinkt, ist auch hier Vorsicht vor besonders gehaltvollen jungen Rotweinen geboten. Im allgemeinen gehören Rotweine direkt hinter die trockenen und halbtrockenen Weißen. Sie sehen, man muss schon an diesem Punkt auf viele Einzelheiten achten.

Fest steht nur eines: den Abschluss einer jeden Weinprobe sollten die schweren und edelsüßen Weißen bilden, also liebliche Auslesen und Beerenauslesen. In das Kapitel der Reihenfolge gehört zweifellos auch die Frage nach Uhrzeit und Räumlichkeit einer Weinprobe - auch dies sind Punkte, die Einfluss nehmen auf die Fähigkeit eines jeden, bestimmte Dinge zu schmecken und zu entdecken.

Die Festlegung einer Uhrzeit, beispielsweise der gerne vorgeschlagenen Vormittagsprobe gegen 11 Uhr, orientiert sich nicht daran, dass eine Probe denjenigen für Stunden „schwächt“, der gerne herunterschluckt, was er probiert. Vielmehr geht es hier darum, die Einflüsse von Mahlzeiten zu minimieren, die ebenfalls das Geschmacksbild trüben können. Kaffee beispielsweise lässt seine Röststoffe durchaus noch bis zu einer halben Stunde im Mund verweilen - keine gute Voraussetzung für eine ungetrübte Beurteilung. Die Geschmacksreste des Frühstücks müssen den Mund- und Rachenraum verlassen haben - und es hat sich als durchaus sinnvoll erwiesen, wenn man nicht hungrig, aber auf keinen Fall richtig satt sein darf.

Möglichst keine penetranten Gerüche gehören in den Probenraum, keine duftenden Blumen, natürlich auch keine Zigaretten oder deren Reste von gestern, möglichst gutes Tageslicht, eine gute Luft und eine Temperatur um 20 Grad. Wenn dann noch ein weißes Tischtuch die Möglichkeit eröffnet, Farben gut zu erkennen, dann steht dem Weingenuss nicht mehr viel im Wege.

Halt, da gibt es noch das Thema GLÄSER. Wer hier abwinkt, der hat noch keine echte Probe aufs Exempel gemacht. Beginnen wir mit der Lagerung: stellen Sie niemals warme Gläser aus der Spülmaschine kopfüber in den Schrank. Was diese Form der Lagerung an Negativem aufzunehmen in der Lage ist, vermag man sich kaum vorzustellen.

Zwischen Muff und Möbelpolitur ist alles möglich. Sorgen Sie am besten für geruchsfreie und saubere Gläser, die kurz vor der Probe mit lauwarmem Wasser ohne Spülmittel nachgespült wurden und mit einem sauberen und ebenfalls geruchsfreien Leinentuch abgetrocknet wurden. Für das Glas selbst empfiehlt sich eine Tulpenform, Kristall als Material sowie einen Stiel, der das Anfassen ohne Erwärmung ermöglicht.

Auch die Düfte der Hand, auch wenn sie positiv mit dem Namen Handcreme belegt sind, gehören nicht in die Nähe. Die Kelchgröße entscheidet letztlich über die Möglichkeit des Schwenkens, um die Duftstoffe des Weines zu öffnen; die Verjüngung der Form nach oben sorgt für konzentriertes Eintreten der Aromen in die Nase. 5 bis 8 cl reichen völlig für den vollmundigen Probenschluck. Bei dem wichtigen Thema der Weintemperatur möchten wir den Leser nur ungern mit einer Tabelle abspeisen - obwohl dies für das Nachlesen das einfachste wäre.

Die Kriterien sind aber auch so leicht zu merken.
Sie lauten:
trocken bis mild
jung bis alt
weiß bis rot
QbA bis Trockenbeerenauslese.

In diesem Weinspektrum werden Temperaturen
zwischen 8° und 18° C empfohlen.

Mit ein paar Ausnahmen stehen alle diese Abstufungen für ein Ansteigen der Temperatur; die Ausnahmen bilden Barrique-Weine, die bis zu 20° C haben dürfen. Außerdem werden die milden roten Auslesen etwas kühler getrunken als ihre trockenen und in der Qualität niedriger liegenden Geschwister. Mit anderen Worten: Weißweine werden zwischen 8° und 14° C serviert; dabei liegen die einfacheren, jüngeren Weine sowie alle Sekte im unteren Bereich, die edleren und älteren Weine im oberen Bereich. Roséweine und Weißherbst werden zwischen 10° und 14° C serviert; ansonsten gilt die gleiche Regel wie beim Weißwein.

Bei Rotweinen erfolgt die Haupt-Unterscheidung zwischen mild und trocken: milde Rotweine liegen zwischen 12° und 16° C, die jüngeren unten, die älteren oben. Trockene Rotweine liegen zwischen 15° und 18° C, wobei auch hier die jüngeren kühler serviert werden als die älteren. Allerdings dürfen Sie eines nicht vergessen; je kühler der Wein serviert wird, desto schneller steigt seine Temperatur nach dem Ausschenken an - und er braucht den allmählichen Kontakt mit der Luft, um überhaupt alle Vielfalt des Geschmacksbildes zu entfalten. Es ist daher ganz besonders wichtig, bei einer bedeutenden Probe auch Weinkühler zu verwenden.

Weinprobe

Zu guter Letzt möchte ich dem Leser noch einige Gedanken mit auf den Weg geben, auf die er gewiss selbst kommt, wenn er unseren Vorschlägen bisher aufmerksam gefolgt ist. Der erste Gedanke befasst sich mit dem Essbaren, was man seinem Gaumen sinnvollerweise während einer Probe antut: geschmacksneutrales Brot, keine starken Gewürze, Vorsicht bei Salz und Knoblauch - alles Dinge, die zu einem guten Essen, aber nicht zu einer guten Probe gehören dürfen. Und wenn Sie sich während der Probe mit anderen Teilnehmern unterhalten, dann denken Sie bitte daran, dass jeder Mensch andere geschmackliche Fähigkeiten hat - ähnlich wie bei den Geschmacklosigkeiten. Da kommen eben auch einmal abweichende Meinungen zustande.

Der eine erfreut sich am Dekantieren (was man nur tun sollte, wenn es wirklich notwendig ist), der andere findet seinen Genuss erst, wenn er seinen weniger begabten Mittrinker durch Fachbegriffe derart in die Enge getrieben hat, dass der andere nur noch schweigend antworten kann. Dabei ist doch alles so einfach. Wein muss schmecken - und es muss wieder möglich sein, auch bei einer Probe von Fachleuten zu sagen:
HMMM, lecker!