Wein
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Das Gold der Mosel
Die 4 Jahreszeiten des Winzers
Als ich die Mosel zum ersten Mal besuchte, war Herbst, und die Weinlese war das vorherrschende Ereignis. Eine Winzerstochter, heute meine Ehefrau, hatte mich in ihr Elternhaus eingeladen. Allerdings gab es niemanden, der mich empfangen hätte.
Ich will jetzt nicht davon reden, was damals in meinem Kopf vorging. Ich will nur ausdrücken, dass diese erste Begegnung mit der Mosel auch meine erste Begegnung mit den Jahreszyklen eines Winzers war. Die Weinlese ist ganz einfach das Hauptereignis im Moseljahr, Höhepunkt, arbeitsreichster Monat, ganz einfach wichtiger als irgendwelche Freunde der Tochter des Hauses.
Die Rolle, die der Jahreslauf im Leben des Winzers spielt, lernte ich in den kommenden Jahren noch oft kennen. Inzwischen lebe ich seit vielen Jahren an der Mosel - und ich habe mich damit abgefunden, dass hier der natürliche Jahres-Kreislauf bestimmender Faktor für das Leben ist.
Das Jahr des Winzers ist länger als das Kalenderjahr - es dauert im Ganzen fast 18 Monate und umfasst alle Arbeiten zwischen dem ersten Rebschnitt nach der Ernte bis hin zu dem Augenblick, wo der fertige Wein ruhig in der Flasche lagert. Es beginnt mit ersten Arbeiten am Stock, die unmittelbar nach der Lese in Angriff genommen werden können, und im Folgejahr zur gleichen Zeit endet es noch lange nicht. Mit anderen Worten - wenn das neue Jahr beginnt, stehen noch Arbeiten aus dem Vorjahr an. Von Ende November bis zum Frühjahrsbeginn laufen beim Winzer zwei Jahre parallel ab - das neue draußen in freier Natur, und das alte im Keller.
Wer das Jahr des Winzers verfolgt, der stellt in den verschiedenen Betrieben unterschiedliche Arbeitsweisen fest. Für alle gilt: der November ist einer der härtesten Monate. Die winterliche Ruhe, die die Weinberge nach außen hin zu vermitteln scheint, trügt. Immer öfter und auch immer früher beginnt der Winzer mit seiner Arbeit am neuen Jahrgang. Zum Beispiel das Weingut Karl-Heinz Böhmer in Neumagen. Hier leben zwei Generationen zusammen; vor einigen Jahren hat der Sohn das Familiengut vom Vater gepachtet, und selbstverständlich arbeitet der Vater mit, wenn er dem Sohn dadurch helfen kann. Von Generationen-Konflikten ist keine Rede; beide arbeiten einträchtig miteinander.
Die Böhmers bauen größtenteils Riesling an, Müller-Thurgau
spielt mengenmäßig eine untergeordnete Rolle. Parallel zur Kellerarbeit am
alten Jahrgang beginnen sie früh mit dem Aufbau des neuen Jahrgangs am Stock.
Ende November, spätestens Anfang Dezember findet man sie schon im Weinberg
beim Rebschnitt. Dabei werden die sogenannten zweijährigen Triebe weggeschnitten
und die einjährigen als Zielholz für das kommende Wachstum stehengelassen.
Gelegentliche Reparaturarbeiten, Anpflanzungen, Austausch von Pfählen, aber
auch Bodenarbeiten wie das Gruppern, das Auffahren, stehen an. Und schließlich
geht es ans Binden - erste echte Vorbereitung fürs Neue Jahr.
Für den Beobachter des Winzerjahres ist das Frühjahr eine besonders
schöne Zeit, die Zeit der Blüte, des Wachsens, in der sich jeden Tag das
Grün ein wenig intensiver zeigt, in der die Tage wieder länger werden und
in der man die Sonnenstrahlen wieder genießt. Aufbruchstimmung herrscht vor,
und das Anpacken macht wieder Freude.
Inzwischen sind wir beim Weingut Friedrich Storck in Traben-Trarbach.
Betriebsinhaber Peter Storck, Diplom-Ingenieur der Oenologie, ist ein aufgeschlossener
und ganz offensichtlich fröhlicher Mensch, der den Zusammenhang zwischen
dem Wein als Naturprodukt und als Vermarktungsprodukt, von dem er seinen
Lebensunterhalt bestreitet, ganz offen vorlebt. „Ich tue meine Arbeit, und
ich lebe vom Verkauf meiner Arbeit. Da kann ich doch nicht als Miesepeter
durch die Welt laufen. Schließlich ist Wein ein Produkt, das zu Geselligkeit
und Fröhlichkeit beiträgt, die ich nicht hinter einem schlecht gelaunten
Gesicht verbergen sollte.“
Zu Storcks Philosophie gehören viele Dinge, die andere
Winzer derzeit erst lernen: die selbstverständliche Ganzheit von Weinbau,
Tourismus, Gastronomie, die alle von Gastlichkeit gekennzeichnet sind. Nirgendwo
sonst will der Kunde so ganzheitlich als König behandelt sein wie zu der
Zeit, wo er - im Urlaub oder am Wochenende - sich mit Lust und Laune den
schönen Dingen des Lebens widmet.
Während anderswo die böse Globalisierung der Weltwirtschaft dafür
herhalten muss, dass das Leben und das Wirtschaften immer schwerer wird,
sieht Storck in einem möglichst umweltfreundlichen Wirtschaften die Regionalität
der Produkte betont, die Bindung an die Region vertieft und die beste Chance,
mit herausragenden regionalen Produkten der Globalisierung ein Schnippchen
zu schlagen.
In dem Betrieb, den Storck zusammen mit seiner Frau führt, spielt das Marketing eine gleichwertige Rolle neben den anderen weinbaubezogenen Arbeiten. Orts-Gäste, die an seiner Haustüre vorbeilaufen, braucht er nur mit ein wenig Fröhlichkeit anzustecken - und schon werden sie dank der Qualität seiner Produkte zu Kunden. Dabei arbeitet Storck nicht weniger hart als seine Winzerkollegen, aber ihm macht es auf unnachahmliche Art offensichtlich große Freude.
Für den Ablauf des Sommers wenden wir uns dem Weingut
Später-Veit in Piesport zu, das von einem aktiven Jungwinzer, Schwiegersohn
des Alt-Inhabers, seiner Frau und mit tatkräftiger Unterstützung des Seniors
betrieben wird. Auch hier gilt: der Schwiegervater ist ganz einfach da, hilft,
bietet seine Erfahrung an, drängt sich aber nicht auf.
Junior Peter Welter führt den Betrieb, der sich seit rund 350
Jahren im Familienbesitz befindet. Er baut zu etwa 65 % Riesling an sowie
rund 25 % Müller-Thurgau. 10 % Spätburgunder werden seit 1994 für die Erzeugung
von Rotwein verwendet.
Der Sommer beginnt Mitte Mai mit dem ersten Hubschrauberflug
zum Spritzen der Weinberge gegen Schädlingsbefall. Die meisten Bodenarbeiten
nähern sich mit dem Auflockern der Hänge bereits dem Ende. Der Stallmist
des Nachbarn, Sägespäne, Stroh und auch die Reste alter Rebhölzer sind als
Humus ausgebracht; die ersten der insgesamt 5 - 6 Hubschrauberspritzungen
sind abgeschlossen. Das, was der Hubschrauber in den Steillagen macht, wird
in der Flachlage von Hand erledigt. Anfang August, nach dem letzten Hubschrauberflug,
erfolgt die letzte Handspritzung gegen Pernospora, Botrytis und Oidium.
Parallel dazu läuft die Düngerversorgung mit einem ganz
eigenen Zeitplan ab. So steht Ende Mai die Versorgung mit mineralischem Dünger
an. Welter macht sich recht spät an diese Arbeit, weil er vermeiden will,
dass der Hauptschub des Stickstoffs in die Blüten kommt.
In die sommerlichen Aktivitäten des Weinguts fällt aber auch
der Betrieb der Straußwirtschaft (Mitte Juni bis Mitte Oktober). Trotz unmittelbarer
Nähe zur Mosel besteht im Betrieb keine Hochwassergefahr; zwischen der wunderschönen
Terrasse und der Mosel führt nur der Radweg vorbei, der seinerseits viele
Kunden ins Haus lockt. Um sich nicht in allzu große Abhängigkeit vom Tourismus-Geschäft
zu begeben, hat man allerdings auf die Zimmervermietung ganz verzichtet -
ein abendliches Entspannen und Abschalten, so der Jungwinzer, ist zwingend
für die eigene Regeneration notwendig.
Ein besonders wichtiges Kapitel im Weinbau sind die Laubarbeiten. Es ist wichtig, dass die Triebe immer in die richtige Wuchs- und Sonnenrichtung gebracht werden. Bei der Drahtrahmenziehung erleichtern Klappdrähte, die man winters auf dem Boden anbringt, das Ausrichten im Sommer; sie müssen praktisch nur eingehängt werden und halten dann alle Triebe fest, wenn im Mai alle bodennahen Triebe (Wasserschosser) entfernt wurden. Anschließend braucht nur noch in zwei Schritten geklappt und am Ende gegipfelt zu werden, Arbeiten, die in den befahrbaren Hängen zumindest keinen besonderen Aufwand mehr darstellen.
Mit dem letzten Gang in den Weinberg beginnt die lange
Zeit des Wartens auf den geeigneten Erntetermin. Während um das richtige
Wetter gebangt, auf gesundes Lesegut gewartet, auf viel herbstliche Sonne
gehofft und auf den Pakt mit Petrus vertraut wird, genießt man es, die Früchte
der eigenen Arbeit heranreifen zu sehen.
Der Herbst ist dann die Jahreszeit, in der das Anbaugebiet Mosel-Saar-Ruwer
zum touristischen Ziel und zum Ausflugs-Zentrum für Fahrrad-, Zug- und Autofahrer
wird. Jetzt geht es um mehr als die Lese, jetzt geht es um den Kundenkontakt
und die Vermarktung des Weines. Jeden Tag klopfen Besucher ans Weingutstor,
ständig fallen kleine oder große Weinproben an.
Darüber hinaus steht die eine oder andere Kundentour ins Haus,
weil die Herbstzeit auch jene Zeit ist, in der die Kunden ihre Keller auffüllen
und öfter bestellen. Wir sind inzwischen im Weingut Blesius in Graach.
Klaus und Raphaela Blesius betreiben wie viele andere Winzer
die gesamten Aktivitäten rund um den Weinbau - Gästezimmer, Appartements,
Weinbau und -vertrieb, aber Klaus Blesius ist auch der „Schnapsbrenner“ von
Graach. Daneben sieht man immer wieder Vater Blesius auftauchen, der mit
voller Kraft im Weingut hilft. Inzwischen ist uns klar, warum sich die Winzer
ungern auf zeitliche Abläufe festlegen: "Das hängt doch alles vom Wetter
ab - und im nächsten Jahr ist alles ganz anders".
In diesem Jahr jedenfalls waren Anfang Oktober die Obstbrände an der Reihe; beim Wein hat man mit dem Müller-Thurgau begonnen, neben dem Riesling (90%) und dem Spätburgunder (5%) die dritte Rebsorte (5%). In den ersten Oktobertagen wurde er zur Produktion von Traubensaft geerntet; wenige Tage später wird der Rest gelesen, der als Wein auf die Flasche kommt. Die Lesezeit des Rotwein (Spätburgunder) ist am stärksten wetterabhängig. Sie stellt die höchsten Anforderungen an die Weinbergs- und die Kellerarbeit. Und im November geht es an das große Stück Riesling, das Blesius anbaut. Das Wetter ist hier keine zuverlässige Größe mehr, dafür dauert die Riesling-Ernte als Ganzes viel zu lange. Für seine rund 2,5 ha kann er zwar den Beginn genau und wetterabhängig festlegen, bis zum Abschluss der Lese kann sich das aber noch oft ändern. Und manches Mal ist die Hoffnung auf ein paar warme, schöne und qualitätsverbessernde Tage ganz einfach vergeblich. Auf jeden Fall, so Klaus Blesius, „muss man versuchen, die Sonnenstrahlen des Herbstes so lange auszunützen wie möglich. Sie sind das wichtigste Stück Qualitätszuwachs, das wir im Herbst bekommen können.
Und dann sprechen wir von der Kellereiarbeit. Blesius
kennt, wie alle seine Winzerkollegen, die Gefahren genau, die beispielsweise
von fehlender Sauberkeit ausgehen; er weiß, dass warme Temperaturen bei der
Lese ein noch regelmäßigeres und gründlicheres Reinigen und Abspritzen von
Eimern und Handwerkzeug erfordern.
Dabei erwähnt er die Fliegen, die die Gefahr der Bildung von
Essigsäure mit sich bringen, weil sie den Alkohol entsprechend in Essigsäure
umwandeln. Doch diese Gefahr, so beruhigt er gleich wieder, besteht in den
doch eher kühlen Riesling-Regionen weniger; hier tut der niedrige PH-Wert
des Riesling ein übriges, um diese Gefahr zu minimieren.
Nach dem Lesen und dem Abpressen kann sich der Most 24 Stunden
im Fass absetzen; dabei entstehen rund 90% blanker Most und 10% Trubmasse.
Diese Trubmasse wird noch einmal in einem kleinen Kelter aufgearbeitet, mit
Zellulose angesetzt und auf eine Hydropresse gebracht. Nach dem Klären kommt
er als weiterer blanker Most zu den übrigen 90% dazu.
Der Ablauf beim Rotwein ist ein ganz anderer. Hier müssen
die Trauben abgebeert werden, d. h., von den Rappen getrennt werden und dann
sofort zum Gären gebracht werden; dadurch wird die rote Farbe optimal erschlossen;
die Gärung erfolgt als Maischegärung. Es folgen Mostgewicht-Kontrolle und
Eiweißschönung. Der Schönungsprozeß entfernt das Eiweiß aus dem Most; er
sorgt dafür, dass keine Eiweißtrübungen auftreten und der Most sich stabil
halten kann.
Die Zugabe von Trockenreinzuchthefen beschleunigt das Einsetzen
des Gärvorgangs und liefert damit einen verbesserten Schutz vor Bakterien.
Die Gärung selbst dauert beim Weißwein zwischen 8 und 60 Tagen,
beim Rotwein ist sie wegen der höheren Temperaturen mit 4 -21 Tagen schneller
beendet. Aber damit sind wir bereits mitten in der Winterarbeit, die das
Winzerjahr zum 18-Monats-Jahr machen. Diese Abschlußarbeiten sind vornehmlich
Arbeiten mit Most und Wein. Bereits kurz nach der Lese werden die gröbsten
Trubstoffe abgetrennt, etwa 3 bis 4 Wochen später wird die Hefe vom Wein
getrennt. Zu diesem Zeitpunkt ist der Most noch sehr aktiv mit dem Gärvorgang
beschäftigt. Der Süßegrad wird regelmäßig gemessen, bis der Zeitpunkt gekommen
ist, an dem die Gärung durch Hinzufügen von flüssigem oder pulverförmigem
Schwefel gestoppt wird. Dabei tritt die Wirkung des Schwefels dadurch ein,
dass der Schwefel den Sauerstoff im Most bindet. Nach dem Gärstopp werden
die Hefen, die sich zwischenzeitlich abgesetzt haben, aus dem Wein abgezogen.
Bei dieser Arbeit ist vorsichtiges Handhaben angesagt, damit
die Hefen nicht aufgewirbelt werden. Sie befinden sich durch das Absetzen
unterhalb des Zapfenlochs im Fass; oberhalb steht der Wein; der obere Spund
wird während dieser Arbeit entfernt, damit ein Druckausgleich erfolgen kann,
ohne dass das Fass durchwühlt wird. Der Rest der abgezogenen Hefe wird nochmals
filtriert und gepresst; hieraus kann weiterer Wein gezogen werden, der später
als Füllwein in den Fässern, die ja nicht mehr ganz voll sind, eingesetzt
wird.
In der Regel bleibt der Wein bei den Böhmer’s bis ca.
April im Fass. Währenddessen erfolgt eine ständige Kontrolle, ob sich der
Schwefelstatus hält, in dieser Zeit baut sich die Säure des Weins kontinuierlich
ab. Den Abschluss der Kellerarbeiten bilden dann das Abflaschen, Etikettieren
und für den selbstvermarktenden Winzer der Hauptteil, die Verkaufsfahrten
zu seinen Kunden zwecks Kontaktpflege.
Auch im Keller des von Peter Storck als „Wohlfühl-Weingut“ bezeichneten
Hofes ist die Arbeit von Februar bis Mai geprägt von dem Abflaschen nach
Bedarf. Dabei regiert nicht nur die Kundennachfrage diesen Bedarf, zusätzlich
legt er Wert darauf, die Weine durch Frühabfüllung jung und dynamisch in
die Flasche zu bannen.
Lebendigkeit und Frische sind, je nach Wein-Typus, mehr oder
weniger gefragt. Storck trifft sich schon früh im Jahr mit Kollegen zu Blindproben,
in deren Verlauf wichtige Erfahrungen und Erkenntnisse über die jeweiligen
Jungweine ausgetauscht werden. Für ihn ist dies vor allen Dingen eine ganz
wichtige Qualitätsdiskussion. Er will seinen Reben genau das geben, was sie
brauchen - und dafür ist das Urteil seiner Kollegen so wichtig wie sein eigenes.
Peter Storck, mit seinem Betrieb Mitglied im Bernkasteler
Ring, hat wie viele Winzer ein sehr persönliches Verhältnis zu seinen Weinbergen.
Er pflügt Unkraut um, schneidet, häckselt und läßt dem Boden alles - hinzugefügt
wird nur, was der Boden gezielt benötigt.
Bei der Diskussion um seine Frühjahrsarbeit geht dann wieder
die Liebe zum Beruf mit ihm durch. „Bodenpflügen - das ist doch der Duft
und das Leben des Bodens. Da erlebt man den Humus-Reichtum, das offene und
geöffnete Wurzelwerk, das Anwachsen von jungen Pflanzen, den Austrieb. Das
ist ganz einfach das Erleben von neuem Leben. Ist das nicht wunderbar?!“